Sie sind wie sie sind.

Sie sind wie sie sind.

beine füßeSie kommen und gehen. Sie sind, wie sie sind.

Beide Sätze klingen wie Floskeln.
Zumindest, weil sie sich rhythmisch auf die Zunge legen.
Inhaltlich? Nein, sie sind kurz gefasste Erkenntnis. Erfahrung vielleicht.
Und sie stimmen. Auf jeden Fall für mich.
Seit ich diese zwei Aussagen verinnerlicht habe, sind sie mir sogar nützlich. Mehr noch, sie schützen mich und dienen meiner Gesundheit.

Floskeln beschreiben Begebenheiten, die zu erwarten sind, die zumindest häufig vorkommen. Es geht um so normale Begebenheiten, dass sie schon im Voraus erahnt werden,  – und die außerdem wirklich eintreffen.
Das ist ja an sich nichts Verwerfliches. Im Leben muss nicht immer alles eine Überraschung sein. Dinge, Situationen, menschliches Gehabe, das einem vertraut ist, verunsichert nicht, sondern es entlastet. Immer alles neu zu erfahren, zu definieren, zu interpretieren und einzusortieren, das wäre entsetzlich anstrengend, wenn nicht gar schlicht unmöglich.

Ich arbeite seit Jahrzehnten – bin ich wirklich schon so alt? – mit Kindern, großen Kindern. Vier Jahre lang begleite ich sie, manche hinterlassen einen Eindruck, gut oder schlecht, viele waren eben eine Zeit lang in meiner Obhut, nicht mehr, einigen bleibe ich verbunden.
Seit ich mir ganz bewusst sage, SIE SIND, WIE SIE SIND, kann mich nichts mehr so schnell aus der Fassung bringen.

Ihre Handlungen, ihre Reaktionen entspringen ihrem Innersten und haben meistens gar nichts mit mir zu tun. Ich bin nur ein Teil ihrer Welt, die im Alter von 10 – 15 Jahren gewaltig durcheinander gebeutelt wird. Ihre Innenwelt steht auf sehr wackeligen Füßen, wenn sie dies auch nie zugeben würden. Nur gut, dass in ihnen eine „Persönlichkeit“ thront, die wenig bis gar nicht zu verrücken ist, an die sie sich selbst erst gewöhnen, mit der sie ein Leben lang einen festen Stand – wo auch immer – bewerkstelligen müssen.

Einen Charakter, ein Wesen kann, soll und will ich mit meinen Möglichkeiten nicht formen. Wie gesagt: Sie sind, wie sie sind.
Meine Aufgabe ist wohl vielmehr, sie zu unterstützen, dass es ihnen gelingen möge, dieses Sein einzuordnen in einer Gemeinschaft, in die sie gestellt sind. Denn auch die jeweilige Gemeinschaft kann man sich nur selten wählen. Schule ist ein buntes, zufälliges Puzzle auf Zeit, ein Übungsfeld für viele weitere mögliche Gemeinschaften in einem Leben.
Den Platz zu finden, dort an sich und den anderen zu wachsen, ist die wahre Aufgabe eines jungen Menschen. Das kann mitunter sehr anstrengend für diesen selbst sein, aber auch für alle anderen, die rein zufällig im selben Puzzle mitwirken.
Ich kann im besten Fall unterstützen, dass der Platz gefunden wird, der dieses Wachsen an sich selbst, an den eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten, dem Selbstvertrauen und dem Wachsen an den anderen ermöglicht.
Eine Zeitlang.
Denn:
SIE KOMMEN UND GEHEN.

Dieses mein Bemühen hat bei jedem einzelnen Kind ein Ablaufdatum. Wie viel ich gebe, wie viel ein Kind gibt und zugleich annimmt, es spielt irgendwann keine Rolle mehr. Spätestens nach vier Jahren entschwinden sie aus meinem Wirkungsbereich. Und ein neuer Abschnitt beginnt. Für sie und für mich.

Mit diesem Wissen darf es niemals geschehen, dass das Bemühen so viel von meiner Kraft einnimmt, dass ich neuen Aufgaben nicht in meiner Ganzheit gewachsen wäre. Denn ich wage zu behaupten, für die großen Kinder gilt: Aus den Augen, aus dem Sinn. Ich aber bleibe zurück und möchte bereichert ebenfalls an meiner Aufgabe gewachsen sein, nicht mich darin verzehrt haben.

Darum gilt – erst recht bei größtmöglichem Engagement – für mich:
Sie sind wie sie sind.
Sie kommen und gehen.
Und das ist gut so.