Was ich am Abend mache? An diesen langen, lichten Abenden mit Amselsang und rosalila Wolken am Horizont, eingehüllt in meine Wolljacke und ausgerüstet mit der scharfen Grasschere?
Ich bin auf der Jagd.
Ich versuche, dem natürlichen Gleichgewicht etwas nachzuhelfen, denn es ist aus den Fugen geraten.
In meiner Kindheit gab es wunderhübsche behauste Schnecken. Tigergemustert, gelb, braun mit Wendelkreisen, gesprenkelt die Häuschen, durchsichtig noch die winzigen Jungen, alle mit einer Langsamkeit, die zur Beobachtung einlud. Diese hübschen Tierchen gibt es noch, ganz bestimmt.
Aber heute denke ich Schnecke anders. Wenn ich das Wort „Schnecke“ höre, „sehe“ ich saftig dicke Walzen, rotbraun, dunkelbraun oder feuchtglänzend schwarz. Schnell, wirklich schnell für Schnecken sind diese unterwegs, – sie tragen ja auch kein Haus am Rücken.
Lange glaubte ich, dass sie sich hier zufällig angesiedelt haben, eingewandert irgendwie und irgendwo, aber seit heute weiß ich, dass dieses Weichtier namens „Arion lusitanicus“ in Wirklichkeit aus Zentraleuropa kommt, also hier ganz daheim ist. Deshalb mag ich diese Schnecken aber auch nicht lieber. Es beruhigt mich etwas, dass ich mit diesem Gefühl nicht alleine bin. Das gefräßige Weichtier wird sogar auf der Liste der europäischen „100 of the worst“- Tier- und Pflanzenarten geführt! Ein Wesen angeblich mit erheblichem Einfluss auf biologische Vielfalt, Ökonomie und Gesundheit.
Maßlos sich vermehrend, dämmerungs- und nachtaktiv bleibt kein Salat ungeschoren. Es gäbe so viel Gras und Grün, das ich diesen stillen Weichtieren wohl gönne, aber wenn sie heimtückisch über den Salat herfallen, dann werde ich ungemütlich. Dann bin ich auf der Jagd. Dämmerungsaktiv bin auch ich: Irgendwann kriechen sie mir in die Quere! Und wenn sie mit ihrem kleinen Hirn beschließen, unter einen der Blumentöpfe zu schlüpfen, die sorgsam über Nacht über junge Salatpflanzen gestülpt ihre Fressgewohnheiten vereiteln sollen, wenn sie dies wagen und sich dabei in einen nächtlichen Fressrausch begeben, dann blitzt mein Killerinstikt auf.
Die Kräfte sind ungleich verteilt. Das stimmt. Aber die Salatpflanzen sind noch wesentlich wehrloser als diese nackten Schnecken. Sie können sich nirgendwohin zurückziehen oder einen anderen Ort wählen. Ich ergreife für die Pflanzen Partei – und für mich, die ich irgendwann von diesen Pflanzen Blätter pflücken möchte, die nicht abgenagt, löchrig und voller Schleimspuren sind, – falls es überhaupt noch Blätter gibt.
Seit einigen Jahren gibt es einen Schneckenfriedhof. Er liegt am Rand meines Gartens unter hohen Büschen. Dort finden die gefräßigen Tiere ihre letzte Ruhe. Nun, dort fänden sie die letzte Ruhe, wenn ihresgleichen die toten Verwandten nicht als Festschmaus betrachten würden.
Kannibalische Züge, ohne Zweifel. Oder vielleicht ist dies viel eher ein Leichenschmaus, eine letzte Ehre, die den auf frischer Tat Ertappten erbracht wird?
Ich habe kein Nacktschneckenherz und keine Ahnung, wie weit das Nacktschnecken-Gefühlsleben reicht. Eines steht fest: Allen, fast allen Lebewesen wünsche ich Gutes, aber als Jäger weiß ich auch, wie die Welt wirklich tickt. Letztlich geht es um Fressen und Gefressenwerden.