Wege oder Die Kunst der kleinen Schritte
24 Heiliger Abend
Ein Stern führt uns, ein himmlisches Zeichen: Es gibt mehr als unser Erdenleben!
Doch genau darauf kommt es an: auf unser Erdenleben.
Wenn die ganze Welt manchmal auch kalt, finster und abweisend erscheint, wenn wir uns manchmal klein, gering, nackt und unwichtig fühlen, wir dürfen daran denken: Genau so hat die Geschichte im Stall in Bethlehem begonnen.
Was ist daraus geworden!
Jubel und Freude, Musik und Freudenlichter, himmlische Klänge – und der Beginn eines strahlenden Lebens, das heute noch Kreise zieht. Wir freuen uns, denn in irgendeiner Weise fühlt sich wohl jeder in dieser Geschichte daheim, wir gehören dazu, wir sind gemeint.
Darum wünschen wir uns: Fröhliche Weihnachten!
Lasst uns feiern und freuen wir uns!
Ich wünsche dir und deinen Lieben gesegnete und frohe Weihnachten!
23 Kleine Schritte
Ich habe einen Lieblingstext. Er begleitet mich schon Jahrzehnte meines Lebens. Äußerlich ist er schon sehr abgenützt, – das heißt, das Textblatt ist zerknittert und eingerissen, es war schon oft in einer Tasche, in einem Hosensack, im Rucksack und hat schon viele Länder bereist. Ich kann den Text fast auswendig. Genau dieses Blatt hängt jetzt in einem Bilderrahmen neben meinem Lesesessel, zerknittert, wie es im Laufe der Jahre geworden ist. Der Inhalt hat in keinster Weise an Wert verloren, er ist immer noch gültig für mich: „Die Kunst der kleinen Schritte“ von Antoine de Saint- Exupèry und er wird mich weiterhin begleiten, da bin ich mir sicher.
Dies ist eine Konstante in meinem Leben. Es gibt viele Konstanten: geliebte Menschen, Aufgaben, Orte, aber auch Rituale, Traditionen, Werte, die mir die Sicht auf Neues, Abenteuerliches, Interessantes nicht verstellen. Sie sind ein Gerüst meines Lebens. Ich habe immer noch die Möglichkeit, dieses Gerüst mit meinen Freiheiten zu kleiden: mit neuen Interpretationen, Gedanken, Erkenntnissen, Erfahrungen…
Weihnachten ist auch so eine Konstante. Ich freue mich, wir freuen uns darauf, wir treffen uns und viele der kleinen Schritte, die ich in diesem Adventkalender angesprochen habe, werden in diesen Tagen spürbar: Anlehnen, Enthusiasmus, wie die Zeit vergeht (Wimpernschlag), Geduld, „Merk“würdiges, Abstand nehmen, Hoher Besuch, Sinn, Danken… viele kleine Schritte, die im Zusammenleben wichtiger sind als so mancher große Sprung.
Meine Freiheit in Bezug auf Weihnachten wohnt vor allem innerlich: Ich finde immer wieder einen neuen Zugang, er erschöpft sich nicht, das Fest ist immer wieder neu. Das mag auch eine Botschaft des Weihnachtsfestes sein: Uns ist mit diesem Geburtsereignis zugesagt, dass wir immer wieder neu beginnen dürfen, wir sind nie fertig, die Menschwerdung begleitet uns, solange wir denken, atmen, leben.
22 Danken
Heute ist der 100. Geburtstag von Reinhold Stecher, der viele Jahre als Bischof der Diözese Innsbruck wirkte, aber auch viele Jahre als Religionsprofessor an der Pädagogischen Akademie junge Menschen in seinen Bann zog.
Der Hörsaal war immer bis auf den letzten Platz belegt, wenn er in seiner anschaulichen, mitreißenden, humorvollen Art und Weise seine Vorlesung hielt (Anmerkung: Danach lichteten sich die Reihen, egal welcher Professor folgte). Wir waren begeistert.
Er war nicht nur in der Akademie gerne BEI jungen Leuten, jedes Jahr verbrachte er MIT etlichen Studenten eine Sommerwoche in Fels und Eis. Das Foto stammt aus dem Jahr 1977 und ich hatte die Gelegenheit in der Seilschaft mit dem Bergführer Ossi, mit Reinhold Stecher und meinem Mitstudenten Ali unvergessliche Tage zu verbringen. Die anderen Seilschaften waren etwas größer, aber Ali und ich, beide eher klein und zart gebaut, passten gut zu Reinhold Stecher, der ja auch nicht gerade der Größte war. Doch wenn er erzählte, wenn er eine Anekdote zum Besten gab, und vor allem bei der Bergmesse, da war es, als würde er die ganze Welt umarmen. Und wir lebten mit. Es war nicht nur die Liebe zu den Bergen und zur Natur, die in diesen Tagen wuchs, es war, als würden wir über uns hinauswachsen und spüren, dass wir uns im Gegenüber zu etwas Großem befinden. Schöpfung wurde zutiefst erlebbar.
Sein vielleicht bekanntestes Zitat lautet: „Viele Wege führen zu Gott – einer geht über die Berge.“
Das spürten wir bei begeisterten Gipfelsiegen, in fröhlichen Stunden in der Unterkunft und ganz besonders in den stillen Stunden allein irgendwo in einer Felsnische nicht weit von der Hütte unter dem unermesslichen Sternenhimmel.
Die Tiefe von Gedanken konnte er wunderbar in Worte fassen und somit weiterschenken: „Am Gipfel, wo die Welt zu Ende geht und wo über uns nur mehr der weite Himmel steht und die Wolken ziehen, wächst aus dem Blick in die Tiefe und Weite die Frage nach dem Sinn des Ganzen.“
Ja, das begleitet ein Leben lang…
Menschen können weit über sich hinaus wirken. Reinhold Stecher war so ein Beschenker. Er selbst sagt: „Wer die Welt als Geschenk erfährt, fühlt sich zum Danke gedrängt.“
Das möchte ich viel öfter in den Vordergrund rücken. Danke!
21 Herzaugen
Der biblische Thomas wird auch der ungläubige Thomas genannt. Er ist derjenige, der auf drastische Weise von etwas überzeugt werden muss. Glauben allein genügt ihm nicht. Er verlangt, mit eigenen Augen zu sehen, mit seinen Ohren zu hören, mit den Händen zu fühlen, – und er legt seine Finger in die offenen Wunden Jesu. Jetzt glaubt er, – besser gesagt, er ist jetzt auch überzeugt und lässt gelten, was er schon längst von den anderen Jüngern erfahren hat.
Den Finger in eine offene Wunde legen, – das bedeutet, jemandem von Neuem Schmerz zufügen. Obwohl es auch anders sein hätte können, wenn man zugehört, mitgefühlt und vertraut hätte! Ein allzu menschlicher Zug…
Nicht umsonst ist der kürzeste Tag, die längste Nacht diesem Mann gewidmet, verharrte er doch in der „Dunkelheit“.
Jedes Liebespaar kann über so viel Engstirnigkeit nur den Kopf schütteln. Liebespaare spüren das ganz besonders deutlich: Der Mensch, der geliebte Mensch ist viel, viel mehr als der, den man mit den Sinnesorganen wahrnehmen kann! Das gilt natürlich für jeden Menschen.
Es sind manchmal nur kleine Schritte nötig, die eine Veränderung bewirken. Nehmen wir es uns ein bisschen öfter zu Herzen und schauen wir mit den Herzaugen auf unsere Mitmenschen, wir verlieren nichts dabei, aber wir gewinnen viel!
Antoine de Saint-Exupèry bringt es auf den Punkt: „Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“
20 Prophezeiung
„Der Prophet im eigenen Land gilt nicht viel“ – du kennst diesen Spruch? So geht es gerade den Wissenschaftlern und Fachleuten viel zu häufig.
Sogar im ganz kleinen Rahmen in der Familie, im Dorf, im Kollegenkreis passiert das: Man kennt jemanden womöglich von Kindesbeinen an und plötzlich sagt diese Person etwas sehr Kluges – weil sie es gelernt, studiert, erfahren hat -, und das Gesagte übersteigt das eigene Wissen, ja, das traut man dann dieser Person nicht zu. Man schüttelt missbilligend den Kopf, man winkt die Aussage als lächerlichen Beitrag ab, hinter vorgehaltener Hand wird vielleicht sogar Klugscheißer gesagt.
Wenn dann die klugen Aussagen nicht nur das belegte Wissen benennen, das ja greifbar für alle wäre, sondern sogar einen Blick in die Zukunft tun? Pah, dann müsste die Person ja Hellseher sein! Oder Prophet. – Und beides ist abwertend gemeint.
Naja. Wenn wir uns nur nicht täuschen.
Schon 800 Jahre vor Christi Geburt prophezeite Jesaja die Ankunft Jesu (Jes9,5), vor mehr als 2000 Jahren erkannten der alte Simeon und die Prophetin Hanna schon in dem kleinen Kind Jesu, was dereinst aus ihm werden würde (Lk2,28-38) und Johannes der Täufer kündigte einen Menschen an, der nicht nur mit Wasser tauft, sondern mit Geist und Feuer (Lk3,16 und Mt3,11). Schöne biblische Geschichten der Hoffnung. Wenn man auf sie hört, kann man sich darauf einstellen und sein Leben danach ausrichten. Das wäre der Sinn einer Prophezeiung.
Wir leben in der Vorweihnachtszeit nach diesen Regeln. Wir glauben, dass mit dem Andenken an die Geburt Jesu immer eine neue Zeit anbricht. Eine bessere, friedlichere, menschlichere.
Könnte es nicht sein, dass man heute Menschen mit ihren „Prophezeiungen“ (Wissenschaftlern, Fachleuten) vertrauen kann, obwohl sie keine Götter sind?
Jesus ist erst einmal auch als kleines Menschlein zur Welt gekommen.
19 Hoher Besuch
Erwartet man hohen Besuch, dann wird mit großem Einsatz und Aufwand vorbereitet:
Was soll es zum Festmahl geben?
Was muss eingekauft werden?
Ist alles sauber und ordentlich in der Wohnung?
Wer entsorgt noch den Müll?
Haben wir noch Kerzen für den Tischschmuck?
Was ziehen wir an?
Und, und, und…
Klingt ganz nach Weihnachtsvorbereitung!
Dabei wird ein Kindlein geboren und es liegt in einem Stall.
Jetzt stellt sich die Frage, ob wir es schaffen, den Stall in unsere Wohnungen zu bringen. Zumindest ein feines, kleines, herzliches Leuchten dieses Stalles.
Das passiert aber innen. Wie gesagt, im Herzen.
Wie gut, davon zu hören! Wir haben ja noch ein paar Tage Zeit…
Wir können unsere Vorbereitungen nämlich unter diesem Blickwinkel beleuchten:
Macht es Freude?
Geht es uns allen gut dabei?
Helfen wir zusammen?
Wächst die Vorfreude?
Spüren wir schon den Weihnachtsfrieden?
In diesem Sinne von Herzen eine friedliche 4. Adventwoche allen, die sich schon auf Weihnachten freuen!
18 Aufeinander schauen
Aufeinander schauen, indem man Abstand nimmt. Mit ein paar Schritten und vielleicht einer Tür…
Es klingt paradox, doch genau das fehlt manchmal, damit es allen gut geht, die unter einem Dach leben.
Wir sind wohl gemeinschaftsbedürftig, andererseits sind wir Einzelwesen mit je eigenen Interessen und Gewohnheiten. Je mehr wir zusammenpicken, umso eher nehmen wir uns die Luft zum Atmen – bildlich gesprochen. Diese Enge schnürt die Seele ein.
Das kann „gefährlich“ für Paare und Familien in Zeiten wie diesen sein, wo wir wesentlich mehr Zeit miteinander verbringen (müssen) wie gewohnt.
Das kann „gefährlich“ zu „heiligen Zeiten“ sein, wo plötzlich alle da sind und erwarten, dass das Zusammensein Friede, Freude, Eierkuchen bedeutet.
Das kann „gefährlich“ in Zeiten des Urlaubs sein, wo jeder vom anderen erwartet, dass er in bester Stimmung für die gute Stimmung aller sorgt.
Da wäre ein Abstecher hinaus oft recht ratsam. Allein. Waldbaden. Fotografieren gehen. Eine Runde laufen. Draußen mit jemandem telefonieren. Diese „Pause“ sollte jeder / jedem ermöglicht werden, wenn man Abstand braucht.
Man darf auch gerne einmal in einem Raum länger alleine sein. Lesen. Fernsehen. Bilder sortieren. Ungestört kochen oder backen. Geschenke verpacken. Diese „Pause“ sollte jeder / jedem ermöglicht werden, wenn man alleine sein möchte.
Schauen wir aufeinander. Einmal anlehnen, dann wieder Abstand nehmen, aufeinander hören und aufeinander schauen. Damit die Zuneigung gedeiht und nicht erstickt. Damit die Freude erhalten bleibt und nicht erdrückt wird. Damit Weihnachten wirklich ein Fest der Liebe und der Familie wird.
Wie lauten die berühmten Worte von Khalil Gibran?
„Liebt einander, aber macht die Liebe nicht zur Fessel: Lasst Raum zwischen euch. Und lasst die Winde des Himmels zwischen euch tanzen. Singt und tanzt zusammen und seid fröhlich, aber lasst jeden von euch allein sein. So wie die Saiten einer Laute allein sind und doch von derselben Musik erzittern. Und steht zusammen, doch nicht zu nah: Denn die Säulen des Tempels stehen für sich, und die Eiche und die Zypresse wachsen nicht im Schatten der anderen.“
17 Gleichwertig
Zwei Zeitungen. Zwei Bilder von Frauen, welche beide kürzlich einen verantwortungsvollen neuen Job übernommen haben: Erstes Bild mit Bildunterschrift „Jung, attraktiv, gebildet“.
Zweites Bild mit Bildunterschrift: „Geradlinig, strukturiert, uneitel.“
Ich gebe zu, mir ist beim erstmaligen Lesen noch gar nichts aufgefallen. Meine Lebensliebe machte mich empört aufmerksam: Jung, attraktiv, gebildet – würden diese Kriterien je unter dem Bild eines Mannes stehen? Ich überlege. Jung ist kein entscheidendes Kriterium für einen verantwortungsvollen Job. Attraktiv? Das würde man lächerlich finden, um die Kompetenz eines Verantwortungsträgers zu beschreiben. Gebildet? Aber bitte, das ist für diesen Job ja selbstverständlich. – O Gott, so sexistisch, und mir ist es nicht einmal aufgefallen. Mag sein, dass es auch gar nicht Absicht des Schreibers war, Gedankenlosigkeit war es allemal.
Unter den Kompetenzen des zweiten Bildes kann man sich sehr wohl etwas vorstellen und sie würden auch zu einem Mann passen: Geradlinig? Man weiß wie man dran ist. Strukturiert? Man kann Entscheidungen nachvollziehen. Uneitel? Es wird der Sache wegen gearbeitet und nicht um sich zu profilieren. – So soll es sein. Es braucht noch viele, viele kleine Schritte auf dem Weg zu einer fairen Verteilung von Arbeit, einer gerechten Bezahlung und der Selbstverständlichkeit von Gleichwertigkeit. Und in vielen Ländern braucht es noch viele, viele große Schritte…
Der Reiseschriftsteller Sylvain Tesson, im Laufe der Jahre viel zu oft „mit der Allmacht des Testosterons“ konfrontiert, berichtet von einem Gespräch mit einem Mann in Belutschistan, der ihn fragte: „Hast du Brüder?“ „Nein, aber ich habe zwei Schwestern.“ „Ach, du bist Einzelkind?“ Daraufhin griff Tesson zum Mittel der paradoxen Intervention und erzählte dem zunehmend fassungslos lauschenden Mann, er sei von seiner Geschäfte machenden Mutter und seinem das Haus hütenden Vater, die ihn nicht wollten, weil sie sich ein weiteres Mädchen gewünscht hatten, von zu Hause vertrieben worden. Ist das nicht genial? Seither sehe ich immer und immer wieder einen grübelnden Mann in Belutschistan vor mir, dessen Weltbild Sylvain Tesson ein klein wenig ins Wanken gebracht hat. Im Dienste der Frauen der Welt. Wie schön. (in „Welt der Frauen“ 12/2021)
16 Sinn
Sehr groß und sehr blau sind seine Augen. Umrandet von dichten schwarzen Wimpern, fast wie bei einem Bühnenschauspieler. Von Statur ist er eher klein. Haare hat er keine und Flügel auch nicht. Dabei würde er Flügel verdienen.
Der 50-jährige Nachbar meiner 84-jährigen Mutter bietet nicht nur seine Hilfe an, wenn es um schwere Gartenarbeit oder den Mülltransport zum Wertstoffhof geht, er fragt einfach immer wieder nach, ob es ihr gut geht, bringt ihr Blumen ohne Grund und nennt sie Finele. Sie ist ja noch viel, viel kleiner als er. Ich finde, er darf das, – sie wundert sich nur über alles. Sie erzählt mir immer wieder am Telefon davon. Seine Besorgtheit und die Aufmerksamkeiten fand sie lange sehr eigenartig: „Warum macht er das?“ – Weil er es will. „Aber ich kann mich ja gar nicht revanchieren.“ – Das erwartet er auch nicht. „Ich kann ihn auch nicht bezahlen oder so.“ – Das würde er auch niemals annehmen. „Aber warum?…“ – Weil du alt bist und er ein Alltagsengel ist.
Es bestätigt mich in meinem positiven, jedoch manchmal wackelnden Menschenbild, wenn ich von Alltagsengeln höre. Ich bin überzeugt, es gibt viel mehr davon als man vermutet, man weiß nicht davon, denn Alltagsengel wirken im Stillen. Die Pharisäer hört man, die laut herumschreien und nach ihrem Recht verlangen und dabei die Menschlichkeit mit Füßen treten.
Viktor Frankl würde die Beschreibung „Alltagsengel“ bestimmt gefallen. Sein vielleicht berühmtestes Zitat lautet: „Im Dienst an einer Sache oder in der Liebe zu einer Person erfüllt der Mensch sich selbst.“ Nur das macht Sinn.
Ich werde heute noch ein paar Schritte durch den Schnee stapfen, an den hohen Fichten, dem „Wald“ an der Grundgrenze vorbei, und meine alte Nachbarin besuchen, ich weiß, sie wird sich freuen.
15 Gnädig weiß
Vorweihnachtliches Tauwetter. „Noch ist die Stadt gnädig weiß,“ schreibt meine Freundin und beim Lesen stutze ich. Gnädig weiß? Diesen Ausdruck habe ich schon lange nicht mehr gehört. Vor meinem geistigen Auge sehe ich: Da hat jemand Erbarmen mit der Stadt, die ohne Schnee in diesen kalten, dunklen Wochen recht schmutzig, trostlos, grau-in-grau wirkt, alles andere als weihnachtlich. Doch zum Glück ist sie – wie gesagt – gnädig weiß.
Wer verwendet dieses Wort heute noch? Verstehen wir es überhaupt?
Für praktizierende Christen kommt es ganz automatisch daher im „Gegrüßt seist du, Maria, voll der Gnade…“: Maria bekommt vom Erzengel Gabriel das großartige Angebot, die Mutter des Heilands zu werden. Sie hat es nicht geplant, es ist ihr zugefallen und sie hat diese Gnade demütig angenommen (wieder so ein Wort!). Das wäre nämlich der ursprüngliche Sinn von Gnade: ohne Plan und Absicht, ohne es sich zu verdienen, einfach bekommen. In der Anrede „Gnädiger Herr, Gnädige Dame“ wurde das ausgedrückt: Eine Person mit viel Einfluss und Geld hatte die Möglichkeit, großherzig den Untergebenen gegenüber zu handeln, also gnädig zu sein.
Ein Talent kann eine Gnade sein, darum heißt es auch heute noch: ein begnadeter Künstler. Wahre Künstler prahlen nicht. Sie wissen, dass sie trotz harter Arbeit, großem Einsatz und vieler kleiner Schritte im Grunde ihr Können nicht selbst „gemacht“ haben.
Gnade klingt inzwischen altmodisch. Heute spricht man von „share“ – etwas mit anderen teilen. Die Gesellschaft und die Sprache haben sich eben verändert, das war schon immer so. Wenn wir gar nicht „mitgehen“, dann könnte es hie und da „cringe“ für die Jungen sein (peinlich berührt). Also interessieren wir uns dafür und seien wir ein bisschen gnädig mit unseren Jungen und all ihren neuen Wörtern, auch wenn wir sie nicht verstehen, sie müssen es ja nicht wissen, „sheeesh!“ (Jawohl!)
14 Geduld hat man nicht
Jetzt wird eingekauft. Viele nützen die neugewonnene „Freiheit“, um endlich zu shoppen. Schließlich möchte man seinen Lieben eine kommerzielle Weihnachtsfreude bereiten, – ein Zeichen unserer Zuwendung, Sympathie, Verbundenheit und Liebe soll es sein. Dies ist die eigentliche Intention von Geschenken und im Grunde nichts Schlechtes. Schon die Hirten haben Geschenke gebracht. Und erst recht die drei Könige, man weiß das ja. Man bemüht sich redlich, das Richtige zu finden. Auch wenn man in Zeiten wie diesen genügend Zeit hatte für Überlegungen, einfach ist es trotzdem nicht, jemandem, der „alles“ hat, ein Packerl unter den Christbaum zu legen. Da braucht es Geduld mit sich selbst, bis die Eingebung kommt und man plötzlich weiß, was dem zu Beschenkenden eine große Freude sein könnte. Und dann braucht es Geduld beim Besorgen, vor allem in der Warteschlange an der Kassa.
Angeblich ist Geduld nicht angeboren. Geduld hat man nicht, man kann sich nur in Geduld üben. Das ist nicht einfach in der Epoche des „Alles und sofort“!
Geduld ist auch nicht gleich Warten, denn im Warten lauert die Ungeduld.
Sie könnte uns gut stehen, diese Geduld. Keine senkrechte Falte zwischen den Augenbrauen, kein Schweißausbruch in der Warteschlange, kein immer näher Aufrücken mit dem Einkaufswagen, kein entnervtes Seufzen …
Geduld weiß, dass alles seine Zeit braucht und kann dies auch gelassen aushalten: „Alles hat seine Zeit…“ (Buch Kohelet, Kap.3)
Nelson Henderson dürfte ein sehr geübter Geduldiger gewesen sein: „Der wahre Sinn des Lebens besteht darin, Bäume zu pflanzen, unter deren Schatten man wahrscheinlich nie sitzen wird.“
Die Latte liegt hoch…
13 Merkwürdiges
Ich habe etliche Notizbücher, möglichst in jeder Tasche, man weiß ja nie, wann einem etwas „Merkwürdiges“ – im wörtlichen Sinn – begegnet. Nicht ein Glücksklee, nein, sogar zwei, fein säuberlich gepresst sind mir aus einem meiner Notizbücher entgegengeschwebt. Das gibt mir zu denken. Gleich zwei!
Ich weiß sehr wohl, welch außerordentliches Glück ganz allgemein ich habe, und ich freue mich auch täglich daran. Das steht für ein Kleeblatt.
Und für das zweite? Ich denke, ich hatte das Glück, aus dem Glück etwas zu machen. Genau so viel, dass ich rundum zufrieden bin.
Ich habe aber auch sehr interessante Aufzeichnungen (über eine Irland-Reise) in diesem Büchlein gefunden: Der Duke of Wellington, überzeugter Fan von hohen Stiefeln, die seither in England „Wellingtons“ bezeichnet werden (gilt heute vor allem für Gummistiefel, deren Material erst später erfunden wurde), hinterließ einige sehr „merkwürdige“ Zitate:
„Verschiebe nicht auf morgen, was du auch heute tun kannst, denn wenn es dir heute Spaß macht, kannst du es morgen wiederholen.“ Das entspricht meinem ersten Glücksklee, denn diese Möglichkeit habe ich!
„Wenn man in einem Pferdestall geboren ist, heißt das noch lange nicht, dass man ein Pferd ist.“ Das steht für mein zweites Glücksklee, hätte ich doch vor Jahren niemals gedacht, was mir in meinem Leben alles gelingen kann.
Ich glaube, ein drittes Glückskleeblatt sollte ich mir malen. Denn es beglückt mich immer wieder, wenn ich auf „alte“ Notizen von „Merkwürdigem“ stoße und diese dann in einem völlig neuen Licht besehen kann. Wer weiß, was noch alles kommt …
12 Gaudete! Freuet euch!
Dieser Aufforderung komme ich heute gerne nach!
Mit den „wunderlichten“ Klängen der Vilser Künstlerin Heidi Abfalter und den Bildern, die sie bei ihren Schritten in der Vilser Umgebung und auf ihren geliebten Bergen aufgenommen und ihrer Musik unterlegt hat, fällt dies nicht schwer.
Ich wünsche dir einen frohen 3. Adventsonntag mit viel Freude!
11 Anlehnen
Unsere nächsten Verwandten kümmern sich einmütig und intensiv um ihr soziales Gefüge. Eine wichtige Strategie ist die Gepflogenheit des Lausens: Du brauchst Trost, ich lause dir deinen Kopf. Ich bin anlehnungsbedürftig, du laust mir meinen Rücken. Du fühlst dich nicht wohl, ich lause dir Hals und Ohren. Die Nähe beruhigt, besänftigt und macht glücklich. Ein ständiges Geben und Nehmen.
Und wie halten wir es? Wenn es nur so einfach wäre!
Wir sind ebenfalls soziale Wesen, wir müssen und können gar nicht alles alleine schaffen. Doch das Einzelkämpfertum und das Konkurrenzdenken stehen bei allen sich abzeichnenden Trends immer noch viel zu sehr im Vordergrund. Unterschiedliche Meinungen und Ideologien tun ihr Übriges. Darum „lausen“ wir uns viel zu wenig bei der Arbeit.
Nützen wir zumindest das Wochenende, die freie Zeit zum Anlehnen!
Was es braucht? Ein paar Schritte auf jemanden zugehen, den wir gern haben, – und klare Worte! (Wie soll dein Gegenüber wissen, dass du gerade lausige Zeiten durchmachst?)
In etwa so: Hör mir bitte zu. Bleib noch ein bisschen. Wärmst du mir die Füße? Liest du mir vor? Kochen wir miteinander? Nimm mich bitte in den Arm. Erzähl mir etwas Schönes. Wollen wir miteinander Karten (…) spielen? Lass mich bitte bei dir anlehnen.
Es kommt der Tag, das Wochenende, wo du dann hellhörig deine Schulter anbieten kannst …
Es ist einfach heilsam, sich an einen Menschen anlehnen zu dürfen.
Mehr braucht es nicht.
10 Ein schönes Wort
Unser Wetterfachmann im ORF-Tirol-Studio fasziniert mich jeden Tag aufs Neue. Er spaziert irgendwo in der Tiroler Landschaft ein paar Schritte mit dem Mikrofon und erklärt die meteorologische Lage. Ich muss gestehen, das Wetter ist mir meistens wurst, ich höre Erhard Berger zu und bin gespannt auf die Superlative, die da kommen werden. Ich ahne oft schon, was kommt, und dann … – dann kommt es! Es ist extrem und außergewöhnlich und unglaublich, und dann bestimmt mindestens einmal noch außergewöhnlich und unglaublich – unser Wetterfachmann ist ohne Zweifel voller Enthusiasmus für sein Metier.
Enthusiasmus ist ein Wort, das man leider nicht mehr oft hört. Vielleicht hat es damit zu tun, dass die Eigenschaften, die dieses Wort beschreibt, im Zeitalter von Multi-Tasking, Digitalisierung, Überangebot und Konsum nicht mehr so intensiv gepflegt werden können?
Wenn Menschen jedoch aufgehen in ihrem Tun und förmlich strahlen, wenn sie von ihrer Arbeit, ihrem Hobby, ihrem Interesse berichten, dann muss wohl Enthusiasmus dahinterstecken: große Begeisterung, glühender Eifer, intensives Interesse, unbändige Freude und außergewöhnliches Engagement. Solche Menschen sind in ihrem Auftreten wahr, glaubwürdig, ehrlich, empathisch und – ohne dass sie daran denken – sind sie Gebende. In ihrer Nähe wird einem warm ums Herz.
Da hat Christian Morgenstern schon recht: „Enthusiasmus ist das schönste Wort der Erde – damit lässt sich alles, aber auch wirklich alles in Gold verwandeln.“
Es braucht nicht viele Schritte, um an einer Sache wirklich dran zu bleiben, – mit Freude!
9 Leben aus der Dose
Ich denke, jeder kennt das Phänomen, wie sich etwas „live“ auswirkt im Vergleich zu „aus der Dose“, – schlimm genug, dass wir uns daran schon beinahe gewöhnt hätten: Geisterspiele statt voller Stadien, sportliche Wettkämpfe ohne Fans, Essen aus dem Pappkarton im Gassenverkauf, Konzert und Theater über den Streaming-Dienst…
Auch im Kleinen ist es so. Telefonieren ist nicht gleich Treffen. Musizieren zuhause heißt üben und nicht proben wie gemeinsam in der Musikkapelle. Zuhause singen ist nicht gleich Singen im Chor. Daheim schmeckt es, aber ein Restaurantbesuch verwöhnt Leib und Seele in einer anderen Art. Musik im Konzertsaal oder Kirchenraum erhebt in eine besondere Sphäre, zuhause vor dem Radiogerät kann ich nebenbei Zwiebel schneiden.
Wir sehnen uns nach kleinen Schritten …
Alles, was wir uns wünschen, ist ein bisschen Kultur. Kultur ist menschlich.
Kultur bedeutet, das gemeinsame Leben und Wirken erschaffen, gestalten, mit Bedeutung versehen. Kultur verbindet. Kultur bildet.
Eingebettet in jede Kultur faszinieren uns Künstler: Ballkünstler, Kochkünstler, Kunsthandwerker, Wortkünstler, Künstler jeder Art von Muse, – ja, Kunst ist es wohl, wenn ein Glanz über dem Alltag strahlt.
Viel zu viel ist schon viel zu lange klein zusammengefaltet im Schrank der Nation und wartet.
Erste Anzeichen heute, Ankündigungen –
Es gibt sie wieder, Kultur und Kunst! Wir werden uns wieder entfalten!
Kleine, solidarische Schritte … Hoffentlich gehen viele mit …
Martin Traxl, TV-Kultur-Moderator, schloss seine Rezension des „Don Giovanni“ an der Wiener Staatsoper (noch ohne Publikum) mit den Worten: „Die Kunst ist die schönste Form der Hoffnung.“
8 Mariä Empfängnis
Ein Feiertag, den viele gar nicht „brauchen“, und wenn schon, dann sollten wenigstens die Kaufhäuser offen haben… Dieser Diskussion entgehen wir heuer. Aber sie wird bestimmt in einem anderen Jahr wieder aufgenommen. Wenn die Leute wüssten, was wir feiern, dann dächten sie vielleicht ein bisschen anders.
Der 8. Dezember ist ein Feiertag für die Liebe, für Liebesbeziehungen und Partnerschaft.
Joachim und Anna haben sich im Kummer über ihre Kinderlosigkeit über die Jahre entfremdet. Sie sitzt daheim, er geht in die Wüste, und das lange. Was sollte sich schon ändern, wenn sich nichts ändert… Bis ein Engel den beiden einen Schubs gibt und ein „Blind Date“ für sie vereinbart: unter der Goldenen Pforte! Dort gehen ihnen die Augen auf und sie fallen sich in die Arme. Sie erkennen jetzt, dass sie in ihrer Liebe vom Weg abgekommen sind. Jetzt kann sich auch etwas verändern. Die Beziehung wird wieder lebendig, die Liebe blüht auf, sie wissen, was sie fast aneinander verloren hätten. Dieser Neubeginn der Liebe ist auch der Neubeginn eines Lebens, – Maria. Mariä Empfängnis.
Ist das nicht eine schöne Liebesgeschichte? Sie erzählt vom Auf und Ab in jeder Beziehung und davon, dass es manchmal einen Engel braucht oder zumindest eine Goldene Pforte.
Und so einen Feiertag für die Liebe wollen wir in einem Shopping-Center verbringen?
Im „Atlas of Happiness“ habe ich entdeckt, was Glück bedeuten kann: „Huānying“ (Mandarin, eine chinesische Sprache), und damit ist gemeint, „jemanden so freudig empfangen, als käme mit ihm warmes Licht herein!“
7 Das Leben ist ein Wimpernschlag
Es ist schrecklich kurz. Außerdem ist es eine Reise, eine sehr schnelle und oft auch aufregende. Und man kann sich nicht einmal den Beginn der Reise aussuchen: Es ist ein mehr oder weniger großes Glück, wo, wann und in welche Bedingungen man geboren wurde. Dann geht es schon los: ständig Abzweigungen, Entscheidungen, Entwicklungsmöglichkeiten. Und keine Gelegenheit umzukehren. Das Leben ist nämlich eine Einbahnstraße, zurück geht nicht. Auch wenn der Slogan sehr beliebt ist: Geht nicht, gibt’s nicht. In diesem Falle schon. Aber keine Sorge: „Die Welt ist groß und Rettung lauert überall*!“: ein lieber Mensch, ein Fachmann/eine Fachfrau, ein Ratgeber aus dem Bücherregal, eine Nacht lang drüber schlafen, eine +/- Liste, ein Gebet …
Der Blick nach vorne ist wichtig und immer wieder die Orientierung im Sich-selbst-treu-bleiben. Das erfordert manchmal Mut. Doch darauf kommt es an: Sei ein Original, bleibe dir treu und wirke nachhaltig! Du hast nämlich nicht viel Zeit, das Leben ist kurz wie ein Wimpernschlag!
Ich möchte dir nicht vorenthalten, wie C.M. Bagus so schön in ihrem märchenhaften Roman „Der Duft des Lebens“ schreibt:
„Poliere deine Gedanken und zieh dir gute Schuhe an. Verstehst du, was ich meine? Es bedarf oft nicht der Veränderung der Welt, sondern nur der Art, wie wir in sie hinaustreten.“
* Titel eines Romans von Ilija Trojanov
6 Nikolaustag
Drei goldene Kugeln fliegen durch die Luft – und landen im Zimmer von drei Schwestern.
Was ist passiert?
Der wohlhabende Nikolaus kommt zu Fuß unter einem Fenster vorbei, aus dem herzerweichendes, bitterliches Weinen dringt. Er fragt nach dem Grund des Jammers und erfährt, dass die Familie viel zu arm ist, um den drei Töchtern eine Heirat nach Wunsch zu ermöglichen. Für jede bringt die Zukunft die Heirat und folglich das Leben mit einem alten Mann (oder gar den Weg in die Prostitution). In drei Nächten geht Nikolaus an diesem Fenster vorbei und wirft jedes Mal einen Klumpen Gold durchs offene Fenster. Nikolaus wird beobachtet und so kann der Vater ihm seinen tiefen Dank ausdrücken. Die Mädchen können einen Mann wählen, den sie lieben, und somit in den Sommer ihres Lebens schreiten. Wäre ihnen doch ohne die goldene Mitgift der direkte Weg in den Herbst des Lebens beschieden gewesen!
Goldene Kugeln – saftig, süß und voller Sommersonne – Orangen, Mandarinen und Co im Nikolaussäckchen erinnern uns an diese schöne Geschichte vom großherzigen Nikolaus.
Ich wünsche jeder und jedem, dass alle „Jahreszeiten“ des Lebens zur rechten Zeit durchschritten werden können!
Übrigens: Wenn wir uns bei jemandem erkenntlich zeigen wollen, im Moment jedoch mit leeren Händen dastehen, dann sagt man bei uns: „ I weår dr schuå o amål an Schtuå in Gartå werfå.“ – Im Sinne eines goldenen Steines natürlich! 😉
5
Ich werde es vermissen! Bestimmt werden es viele heuer vermissen! Dieses Gruseln und Grauen, wenn die Krampusse auf dem Stadtplatz auftauchen, ihre wilden Tänze mit den riesigen Schellen im Kreis vollführen und mit Fackeln und Feuer rotes Licht in die Nacht zaubern.
Für mich ist dieser Brauch eine bildhafte Erinnerung daran, dass wir das gute Schicksal nicht pachten können. Kaufen auch nicht. Es ist ein Geschenk. Manchmal ist es auch redlich verdient. Unsere behüteten Kinder wissen das meistens noch nicht. Doch sie werden es lernen. Vielleicht bekommen sie eine erste Ahnung, wenn sie dem furchterregenden Krampus begegnen, – zum Glück auf der Schulter von Papa oder fest gedrückt an die Mama, – und dann ist alles wieder gut.
Vor allen Problemen, Schwierigkeiten und Gefahren können wir unsere Kinder nicht beschützen, wenn wir es auch noch so wollten. Ich denke sogar, wir dürfen ihnen gar nicht alle Steine aus dem Weg räumen, es sind nämlich die ihren. Sie werden daran wachsen und glücklich und stolz über bestandene Herausforderungen sein.
Was für ein Glück, wenn wir mit Menschen mit Lebenserfahrung, Toleranz und Verständnis zu tun haben! Sie werden unsere besten Lebensbegleiter sein!
„Glücklich sind die mit den Rissen im Leben, denn sie lassen das Licht herein.“ (ein Zitat von Yvan Audouard, – gelesen im wunderbaren Roman „Das Haus der Frauen“ von Laetitia Colombani)
4
Am Barbaratag denkt man in unseren Breiten vor allem an die Barbarazweige, die am heutigen Tag ins Haus geholt zur Weihnachtszeit blühen werden.
Barbara wird auf Bildern meistens mit einem Turm dargestellt.
Viele Jahre soll sie in einem Turm eingesperrt gelebt haben. Der eigene Vater wollte sie bis zur Vermählung vor der Welt bewahren, versäumte aber, ihre Seele zu nähren. Was Barbara brauchte, fand sie im Glauben, zu dem sie sich schließlich öffentlich bekannte. Sie wollte kein weltliches Leben mehr, ließ ein drittes Fenster in den Turm schlagen, damit für jeden draußen ersichtlich war, sie lebt dort im Turm als Christin und pflegt ihren Glauben an Gott Vater, Sohn und Heiligen Geist (3 Fenster).
Für Barbara gab es kein Happy End. Der Vater akzeptierte ihre Entscheidungen nicht und die Legende erzählt, dass sie durch die Hand des Vaters sterben musste.
Wir hoffen sehr wohl auf ein Happy End. Denn momentan befinden wir uns auch in einer Art Turm. Um so wichtiger ist es darauf zu achten, was unsere Seele nährt. Psychologen und Therapeuten können ein Lied davon singen…
Es hilft herzlich wenig, gegen den Turm zu lamentieren, es ist, als würde man nur Runde um Runde drehen wie ein gefangenes Tier im Zoo.
Man muss einige Ziegelsteine entfernen, Licht in den Turm hereinlassen, für frische Luft sorgen und das Herz lüften. Noch besser ist es hinaufzusteigen und hinauszusehen, – möglichst miteinander, um sich auszutauschen und Pläne zu schmieden, das Miteinander auch im Kleinen zu leben. Der Seele weiten Raum geben, die Zukunft erwarten, seinen Teil dazu beitragen und gerüstet sein… immer wieder im Leben…
3
Es braucht nicht viele Schritte, um etwas Schönes zu entdecken. Eine frisch verschneite Landschaft ist einfach schön, egal ob man den Winter mag oder nicht.
Franz Kafka sagt: „Jeder, der sich die Fähigkeit erhält, Schönes zu erkennen, wird nie alt werden.“ Zumindest im Geiste, möchte ich hinzufügen. Das ist ein erbauliches Versprechen.
Doch da muss schon was dran sein …
Ich möchte dir dazu heute ein Erlebnis erzählen.
Ich durfte den bald 93-jährigen Krippenkünstler Anton Keller besuchen und schon nach wenigen Sätzen wusste ich, er freut sich noch immer so sehr an allem Schönen, an den vielen Motiven, an seiner täglichen Arbeit in der Werkstatt. Und seine Augen sind immer noch jung!
Irgendwann standen wir vor seiner Weihnachtskrippe, die ganzjährig stehen bleiben darf. Eine große Krippe mit etlichen sehr lebendigen Szenen, mit vielen Figuren, – sie alle haben eine Bedeutung.
Unter einem Strauch an der Quelle der Gnade lagert ein Hirtenknabe mit seinen Schafen. Da ist auch ein Huhn.
Ein Huhn??
„S‘ Bübla hat zu mir gset, wenn ma’s guat fuattra tät, hätt‘ ma jeden Tag a Oa“, schmunzelte der Krippenschnitzer, der bei der Arbeit anscheinend in einen sehr lebendigen Dialog mit seinen Figuren tritt. Das hat mir gefallen…
Die Quelle der Gnade fließt immer, sie versiegt nicht. Das mag ein Urvertrauen ins Leben für uns bedeuten. Doch das Leben selbst braucht unser Zutun. Für ein bisschen Kreativität und Mühe werden wir belohnt. Jeden Tag „a Oa“.
Ich wünsche dir, dass du „dein Huhn“ immer fleißig fütterst und dich dann freuen kannst, was dir in den Schoß fällt!
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Es gibt viel zu tun. Eins nach dem anderen, – das war und ist immer noch mein Motto. Dann freut mich alles, was ich mache. Natürlich viel Alltagskram, was ja jeder hat. Aber das muss ja nichts Schlechtes sein. Ganz und gar nicht. Man kann die täglichen Dinge auch gerne erledigen, warum nicht?
Die große Sehnsucht, dem Alltag zu entkommen, ist unerfüllbar. Denn wäre dem so, dann bestünde das neue Leben bald ebenso aus Gewohnheit. Der Mensch kann sich immer nur punktuell freuen. Das ist dann ein Glück. Alles Gute dazwischen ist die Zufriedenheit. Sie ist auf dem Weg zu finden, dem Lebensweg sozusagen. Mit dem Alltagspaket.
Schon Leonardo da Vinci sagte: „Binde deinen Karren an einen Stern!“
Er sprach nicht von Kutschen, geschmückten Pferden, – nein, den Karren nannte er: Nimm deinen Alltag mit und halte dich an einen Stern, an deine Träume, deine Ziele, deine Talente, deine Glücksmomente, deine guten kleinen Schritte.
Wir waren im nahen Wald für unsere Weihnachtskrippe Moos holen. Gefunden habe ich viele, viele grüne Sterne!
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„Tanzen ist träumen mit den Füßen!“ (aus Finnland)
Das ist heute mein Bild.
Der Engel tanzt über allem mit einer Leichtfüßigkeit, die ich mir manchmal wünsche. Was vor mir oder unter mir liegt, – es ist dasselbe, ob ich mich zwischen den Häuserzeilen wie ein Wurm winde und fortschleppe, oder ob ich tanze, auch wenn das auf den ersten Blick unvernünftig erscheint.
Man muss gar nicht unbedingt echt tanzen, es genügt schon die Vorstellung, und es tut gut!
Meine Freundin kann ein Lied von der Kraft der Vorstellung singen, – sie hat Erfahrung mit imaginärem Konfettiwerfen – und sie strahlt!
Ich wünsche dir heute einen „leichtfüßigen“ Tag!
Wege oder Die Kunst der kleinen Schritte
Das ist im Advent 2021 mein Motto.
„Große Sprünge“ machen wir gerade alle nicht.
Vielleicht ist es gerade deshalb recht passend, unser Augenmerk auf die „kleinen Schritte“ zu legen. Möglicherweise entdecken wir dabei, wie sich unser Leben mit den kleinen Schritten anders entwickelt und stellen fest:
was uns fehlt, was uns überhaupt nicht fehlt, was uns einengt, was uns bereichert,
was uns nervt, was uns freut, was uns belastet, was uns innere Freiheit schenkt …